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Hallo,
Ich soll [mm] f(x)=\wurzel{x} [/mm] auf Stetigkeit in x=0 überprüfen. Nach unserer Definition muss man den Grenzwert bilden und ihn mit dem Funktionswert definieren. Nach Wiki ist die Funktion nur dann an der Stelle 0 stetig, wenn sie dort sowohl linksseitig als auch rechtsseitig stetig ist. Linksseitiger Grenzwert existiert aber in R nicht.
Also sollte die Funktion in x=0 nicht punktweise stetig sein, oder?
Lg, David
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Hallo David,
das ist eine hervorragende Frage.
Ich werde dazu eine Ansicht vertreten, und egal welche das sein wird, wird es jemanden geben, der widerspricht.
Die Frage ist nämlich eine der Philosophie der Mathematik - gibt es die Mathematik, bevor sie durch Definitionen erfasst wird, oder wird sie erst durch diese zu dem, was sie ist?
Du bist, nach den Aufgaben zu urteilen, die Du bearbeitest, ein sehr mathematisch begabter Mensch. Es ist darum an der Zeit, Dich an solche Fragen heranzuführen. Elementarisiert könnte man sagen: was ist Wahrheit?
Wenn Du Dich mit dieser Frage nicht befasst, wirst Du Gödel nie verstehen, und auch nicht, was dessen Entdeckung für Russell (und Whitehead und andere) bedeutete, auch nicht die Grenzen von Zermelo-Fraenkel und schon gar nicht die trotzdem existente Sinnhaftigkeit des axiomatischen Ansatzes.
Was ist ein Axiom? Diese Frage scheint eindeutig zu beantworten zu sein, aber sie ist es nicht, und die vorliegende Aufgabe ist einer der Schlüssel dazu.
Dass f(x) in x=0 nicht stetig differenzierbar ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Tangente dort ist senkrecht, was nicht schwer zu zeigen ist.
Die Frage, ob f(x) in x=0 stetig ist, ist aber eine andere. Sie hängt von der Frage ab, wie Stetigkeit definiert wird, und ob diese Definition die einzig mögliche ist. Die einen werden dafür plädieren, dass die Funktion in x=0 stetig ist, deutlich mehr werden begründen, warum sie das nicht ist, und die "Philharmoniker" (harmonieliebenden) bzw. Vermittler werden sagen, dass sie dort stetig ergänzbar sei.
Immerhin geht es um einen einzigen Punkt, (0,0). Per definitionem gehört er zwar zur Funktion (also sowohl der Definitions- als auch Wertemenge), aber unbestreitbar "endet" sie auch dort. Es ist eine Frage, die der nach einem (an diesem Ende) offenen oder abgeschlossenen Intervall gleichwertig ist, ohne wirklich vollständig mit ihr identisch zu sein.
Viel Vorrede. Nun zur Sache:
> Ich soll [mm]f(x)=\wurzel{x}[/mm] auf Stetigkeit in x=0
> überprüfen. Nach unserer Definition
Das ist schonmal präzise formuliert. Glückwunsch!d
> muss man den
> Grenzwert bilden und ihn mit dem Funktionswert definieren.
Das ist der Ansatz der stetigen Ergänzbarkeit.
> Nach Wiki ist die Funktion nur dann an der Stelle 0 stetig,
> wenn sie dort sowohl linksseitig als auch rechtsseitig
> stetig ist.
Wikipedia enthält mittlerweile sehr viel Wahrheit. Hier ist nur die Frage, was eigentlich Wahrheit ist.
> Linksseitiger Grenzwert existiert aber in R
> nicht.
So ist es.
> Also sollte die Funktion in x=0 nicht punktweise stetig
> sein, oder?
Nun ja. Das eben ist Definitionssache. Der rechtsseitige Grenzwert ist ja eindeutig zu bestimmen. Was aber muss für den linksseitigen Grenzwert eigentlich gelten?
1) Er muss existent und gleich sein, damit die Funktion stetig ist.
2) Er muss entweder 1) erfüllen oder darf nicht existieren (will heißen: auch nicht gegen [mm] \pm\infty [/mm] gehen), damit die Funktion stetig ist.
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Die Frage scheint Rückschlüsse auf den Fragesteller zuzulassen. Aber die möglichen Antworten zeigen, dass diese Rückschlüsse fragwürdig sind. Es könnten immerhin mindestens folgende Typen (Rollen?) sein:
1) ein Fragesteller mit großem Über- und Durchblick;
2) ein Fragesteller, der auf seine Definition fixiert ist;
3) ein Fragesteller, der den Unterschied von 1) und 2) nicht versteht;
4) ein bornierter Pädagoge (letztlich vom Typ 2) oder 3))
5) ein genialer Pädagoge (letztlich vom Typ 1))
Und ganz nebenbei: alle davon haben in ihrer Denkweise Recht.
Es bleibt schließlich nur die grundlegende Übersetzung Deiner Sachfrage: Was ist eigentlich Mathematik?
(Außer Kurt Gödel ist auch die Geschichte der nicht-euklidischen Geometrie an dieser Stelle sehr lehrreich. Oder ganz anders - falls Du "Principles of Mathematics" im Original lesen willst, schick mir Deine Adresse. Ich brauche das Buch wohl nicht mehr. Und das Porto kann ich mir leisten, ohne Hunger zu leiden.)
Herzliche Grüße
reverend
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Status: |
(Antwort) fertig | Datum: | 08:54 Fr 07.10.2011 | Autor: | fred97 |
> Hallo,
> Ich soll [mm]f(x)=\wurzel{x}[/mm] auf Stetigkeit in x=0
> überprüfen. Nach unserer Definition muss man den
> Grenzwert bilden und ihn mit dem Funktionswert definieren.
" mit dem Funktionswert definieren" ???
Du meinst mit dem Funkzionswert f(0) vergleichen ?
> Nach Wiki ist die Funktion nur dann an der Stelle 0 stetig,
> wenn sie dort sowohl linksseitig als auch rechtsseitig
> stetig ist.
So lässt sich das charakterisiern, wenn man sowohl "von links als auch von recht mit Punkten aus dem Def.-Bereich an x=0 herankommt".
> Linksseitiger Grenzwert existiert aber in R
> nicht.
> Also sollte die Funktion in x=0 nicht punktweise stetig
> sein, oder?
Natürlich ist f in 0 stetig. Gib [mm] \varepsilon>0 [/mm] vor und setze [mm] \delta:= \varepsilon^2.
[/mm]
Für x [mm] \ge [/mm] 0 mit x< [mm] \delta [/mm] ist dann $|f(x)-f(0)| = [mm] \wurzel{x}< \varepsilon$
[/mm]
FRED
>
> Lg, David
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Danke für die Antworten. Wir hatten das Epsilon-Delta-Kriterium nicht als Def. für die Stetigkeit, aber auch so weiß ich jetzt bescheid. Jedenfalls was meine Lehrerin von mir hören will. xD
Liebe Grüße,
David
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